Kurzgeschichte von Ferdinand Hefemer

Außergewöhnliches im Dilsberg der 60er- und 70er-Jahre

Kurzgeschichte von Ferdinand Hefemer

Im Jahr 1960 ging es auch den Dilsbergern immer besser. Zwar waren die landwirtschaftlichen Betriebe zu klein, um davon leben zu können, aber für jeden und jede, die eine Arbeit in der Nähe suchten, gab es ein Beschäftigungsangebot. Die Jungen konnten nach Abschluss der Volksschule alle einen Lehrberuf finden. Von den Mädchen machten aber nur wenige eine Ausbildung, da es immer noch üblich war, davon auszugehen, dass sie ja ohnehin heirateten und dann als Hausfrau und Mutter zuhause blieben.

Franz Reidel, der Sohn von Hermine und Paul Reidel, einem angestellten Schreiner, war als ein sehr guter Schüler von der Volksschule abgegangen. Er galt als unpraktisch aber voller Ideen. So war das Angebot, bei der Lederfabrik in Neckargemünd eine Lehre als Industriekaufmann zu machen, genau das richtige für ihn gewesen. Da er diese Ausbildung als Jahrgangsbester abgeschlossen hatte, war er auch nach der Lehre übernommen worden. Mit seinen ersten Gehältern als Kaufmann hatte er sich ein gebrauchtes, edel aussehendes Moped mit Verkleidung gekauft, mit dem er stolz aber klappernd über das Kopfsteinpflaster der Unteren Straße fuhr und den jungen Leuten in der Feste mächtig imponierte.

Am Abend traf sich die Dorfjugend immer an der Lenn, dem Platz vor dem Torturm. Die Jungen kamen, um mit ihren Erfahrungen in der Ausbildung oder auf der Arbeit zu prahlen. Die Mädchen, die sich immer etwas abseits in der Nähe des Eingangs zur schönen Aussicht aufhielten taxierten die jungen Burschen, ob der eine oder andere für sie interessant sein könnte.

Eine von diesen Mädchen hatte es Franz besonders angetan: Christa, das einzige Kind des Kleinbauern und Maurers Wendelin Müller und seiner Frau Ruth aus der Unteren Straße, das diesen wider Erwarten nach fast zwanzigjähriger Ehe geschenkt worden war. Christa hat eine Schneiderlehre absolviert und arbeitete nun in einem Heidelberger Modegeschäft. Sie war ausgesprochen hübsch und immer zu Scherzen bereit. Was Franz besonders gefiel: Sie war die einzige, die manchmal auch etwas Ungewöhnliches zu unternehmen bereit war.

Bei einem abendlichen Flirt auf dem Dorfplatz vereinbarten beide für den Sonntagnachmittag einen ersten Ausflug auf Franzens Moped. Christas Eltern waren zunächst nicht damit einverstanden, akzeptierten allerdings Christas Argumentation: „Wenn ich in Heidelberg oder Mannheim in Stellung wäre, hätte ich am Sonntagnachmittag auch frei und könnte machen was ich wollte. Soll ich deswegen eingeschränkt werden, nur, weil ich zuhause geblieben bin?“

Die schließlich zur Gewohnheit gewordenen sonntäglichen Ausfahrten an den Rhein und einen Baggersee war der Anfang einer ernsten Beziehung. Wann immer die Möglichkeit bestand, gluckten die beiden zusammen, und natürlich möglichst auswärts und an Stellen, wo sie unbeobachtet waren.
 
Christa sprach auch eine mögliche Hochzeit an, was Franz mit seinen 21 Jahren aber weit von sich wies. Er wollte – wie er ständig betonte – noch seine Freiheit genießen und auch noch beruflich weiterkommen, ohne für den Unterhalt einer Frau oder gar von Kindern aufkommen zu müssen.  Beide beherrschten aber die Fähigkeit, diese unterschiedlichen Zukunftsvorstellungen weitgehend zu verdrängen und sich nur den schönen Seiten ihrer Beziehung hinzugeben.

So kam es, wie es kommen musste:
Anfang September 1960 kam Christa in Tränen aufgelöst zu einem sonntäglichen Rendezvous am Blumenstrich: „Ich bin schon im dritten Monat schwanger, wie mir gestern Dr. Wilhelm gesagt hat. Franz, jetzt musst Du mich heiraten!“ Franz erstarrte. Er sah sich schon am Wochenende mit Frau und Kinderwagen spazieren gehen, während die andern jungen Leute sich bei Fußball, Ausflügen und Festen vergnügten. Und damit sollte auch die Möglichkeit beendet sein, noch weitere berufliche Qualifikationen zu erlangen und in anderen Gegenden oder gar Ländern Erfahrungen zu sammeln? Er sank in sich zusammen, ohne einen Ton zu sagen. Christas Tränen flossen immer stärker. Es brach aus ihr heraus: „Franz, nun sag doch mal etwas. Du kannst doch dazu nicht einfach schweigen!“ Aber Franz reagierte nicht. Nach gefühlten Stunden des Stillschweigens, die nur durch das anhaltende Schluchzen von Christa unterbrochen waren, stand Franz plötzlich auf, drückte Christa einen Kuss auf die Stirne und verschwand auf seinem Moped.

Christa schleppte sich schließlich allein den Dilsberg hoch in der Hoffnung, dass nicht irgendwelche Passanten ihr verheultes Gesicht wahrnahmen. Auf dem Weg nach Hause wurde ihr klar, dass sie noch heute Abend ihre Eltern aufklären musste. Diese nahmen dann beim Abendessen Christas Botschaft zunächst bestürzt auf, versöhnten sich aber bald mit ihr. Schließlich war die Zukunft mit einem aufstrebenden Schwiegersohn und einem Enkelkind eine letztendlich schöne Vorstellung.

Als Christa am Montagabend von der Arbeit kommend aus dem Bus ausstieg, stand Franzens Mutter plötzlich vor ihr: „Weißt Du, wo der Franz abgeblieben ist. Ihr wart doch gestern gemeinsam unterwegs. Seitdem haben wir nichts mehr von ihm gesehen oder gehört. Im Lederwerk ist er heute auch nicht aufgetaucht. Er hat sich dort auch nicht abgemeldet. Wir sind schon ganz verzweifelt. Hast Du eine Erklärung dafür?“ Christa wurde es abwechselnd heiß und kalt. Sie musste sich auf die Bank an der Bushaltestelle setzen. Hermine Reidel setzte sich neben sie und schaute sie erwartungsvoll an. Christa konnte nicht anders als nun alles zu beichten und zu erzählen, was am Vortag vorgefallen war.

Franzens Mutter reagierte wie vom Blitz getroffen. Dann fing sie an zu jammern: „Der Franz wird sich doch nichts angetan haben. Er ist doch keiner der einfach verschwindet, wenn ein Problem auftaucht.“ Und mit einem „Hättet Ihr nicht besser aufpassen können“ stand sie abrupt auf um nach Hause zu laufen und ihrem Mann zu berichten.

Auch am nächsten Tag war von Franz weder etwas zu hören noch etwas zu sehen. Es gab keinen Brief, keine Zeile Papier, keinen Telefonanruf bei der Post, keine Nachricht im Lederwerk. Franz war unauffindbar.

Am Freitagnachmittag fuhr ein Polizeiauto auf den Dilsberg und hielt vor dem Haus der Familie Reidel. Als Hauptwachtmeister Pfiffig aus dem Dienstwagen etwas beschwerlich ausstieg standen schon Herr und Frau Reidel an der Tür. Noch bevor der Hauptwachtmeister das Haus betrat überfiel ihn Hermine Reidel mit „Was ist los! Sagen sie was los ist. – Ist dem Franz was passiert?“ Pfiffig konnte ob dieser Überfall-Fragen gar nicht zu Wort kommen. Als er schließlich von Paul hereingebeten am Tisch saß, versuchte er die beiden zu beruhigen: „Franzens Moped wurde unweit der Grenze nach Straßburg gefunden. Es war ordnungsgemäß abgeschlossen, aber von Franz war keine Spur zu finden.“ „Oh liebe Zeit, was macht der Bub in Frankreich. Was will er dort?“ klage Hermine. Hauptwachmeister Pfiffig fragte ganz ruhig: „Ist mit dem Franz in den letzten Tagen etwas vorgefallen, eine Schlägerei oder so etwas?“ Die Reidels sahen ihn entgeistert an. „Warum fragen sie das?“- wollte Hermine wissen.  Pfiffig fuhr mit der Überzeugung seiner Altersweisheit fort: „Weil das, was Franz gemacht hat, vermutlich das ist, was  junge Männer manchmal unternehmen, wenn sie etwas ausgefressen haben: Sie melden sich zu französischen Fremdenlegion.“

Die Reidels wurden bleich und bleicher. Ihr Franz in der Fremdenlegion. Das konnten sie sich nicht vorstellen. Als sie wieder ihren gesenkten Blick hoben, sahen sie, dass das halbe Dorf vor dem Haus stand. Ein Polizeiauto auf dem Dilsberg, das ließ die Bewohner zusammenlaufen. Unter allen Leuten stand auch Christa, die ihren Tränen freien Lauf ließ. Hermine gab sich einen Ruck, ging zur Haustüre und bat sie herein. Als Christa erfahren hatte, was vermutlich mit Franz passiert ist, brach sie schluchzend zusammen. Sie wusste was es im Dorf bedeutete, alleinstehend ein uneheliches Kind – oder wie die Bewohner sagten – einen „Bankert“ großzuziehen. Als sie sich wieder gefasst hatte, schleppte sie sich in die Untere Straße, um ihren Eltern die Hiobsbotschaft zu überbringen.

Die nächsten Wochen waren für Christa furchtbar. Wo sie auch hinkam, wurde sie geschnitten. Kaum jemand sprach mit ihr und wenn, dann in einem sachlichen Ton, wie man ihn gegenüber Fremden pflegte. Zum Glück hatten ihre Eltern ihre erneute Enttäuschung rasch überwunden und stärkten Christa den Rücken: „Wir werden unser zu erwartendes Enkelkind mit Dir gemeinsam großziehen, mag das Dorf sagen was es will.“ Und als der kleine Benjamin am Faschingsdienstag 1961 geboren wurde, sah die Welt auch für die Dorfbewohner wieder anders aus.

Die meisten freuten sich an diesem aufgeweckten Faschingskerlchen, das seinem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten war. Mutter und Großeltern waren glücklich mit ihm, was sie auch allen Dorfbewohnern offen zeigten. Benjamin schien keinen Vater zu vermissen. Christa war durch die ihr von Franz zugefügte Enttäuschung auch nicht mehr geneigt, nach einem neuen Partner zu suchen. Sie war mit den Jahren zur stellvertretenden Filialleiterin des Modehauses aufgestiegen, besaß einen Kleinwagen und teilte mit ihren Eltern das so empfundene Glück mit Benjamin, den alle nur „Ben“ riefen.

Es gingen Jahre ins Land, ohne dass von Franz etwas zu hören war. Seine Eltern hatten allerdings über verschiedene offizielle und halboffizielle Kanäle erfahren, dass Franz noch am Leben und inzwischen Unteroffizier in einem afrikanischen Corps der französischen Fremdenlegion sei. Er selbst ließ nie etwas von sich hören.

Im Sommer 1967 fuhr an einem Nachmittag ein etwas ziemlich seltenes Auto, ein „Panhard“ mit französischem Kennzeichen in die Feste und hielt vor dem Haus der Reidels. Aus dem Auto stieg ein braun gebrannter junger Mann in khakifarbenen Hosen mit einem breitkrempigen Hut. Mit ihm stieg eine dunkelhäutige, bildhübsche junge Frau aus, deren sehr buntes Kleid in Dilsberg etwas ungewöhnlich wirkte. Beide Personen betraten das Haus, aus dem ein erschreckter Schrei drang. Hermine blieb fast das Herz stehen, als sie ihren Sohn nach so langer Zeit wieder vor sich sah.

Franz stieß nur ein kurzes „Bon jour, äh, guten Tag“ aus und erklärte kurz und bündig. „Das ist Fayha, meine Frau“.  Nach einer Minute des peinlichen Schweigens stürzte sich Hermine wortlos in die Küche um einen Kaffee zu kochen. Sie musste jetzt etwas tun, Sie wusste nicht was sie sagen sollte.

Am Kaffeetisch brach dann Franz das Schweigen: „Wie Du sicherlich weißt, war ich jetzt sieben Jahre in der Fremdenlegion, überwiegend in Marokko und bin als Feldwebel abgegangen. Vor zwei Jahren habe ich Fayha geheiratet, die mich aus einer schwierigen Situation gerettet hat. Ich bin gekommen, um von hier aus ein Handelsunternehmen aufzubauen. Wisst Ihr uns ein einfaches Haus, das zum Verkauf oder zur Miete ansteht?“ Fayha nickte nur die ganze Zeit lächelnd. Sie verstand natürlich nichts von der Unterhaltung, bis Franz ihr das Wichtigste auf Französisch übersetzte.

„Bevor Vater von der Arbeit kommt und er einen solchen Schock bekommt wie ich ihn bekommen habe, könntest Du in die Obergasse gehen und nach Deinem Sohn, dem Benjamin schauen, der mit seiner Mutter immer noch bei den Müllers lebt.“ Nach kurzem Schweigen antwortet Ben: „So, hab‘ ich einen Sohn? Ich wusste bisher ja nur, dass Christa vor sieben Jahren schwanger war.“ Damit war für ihn die Sache zunächst erledigt. Er wusste offensichtlich nicht, wie er mit der Situation umgehen sollte.

Da ging die Haustüre auf und ohne dass Hermine auch noch eine Vorwarnung geben konnte stand Paul Reidel in der Tür. Langes Schweigen trat ein. Paul schaute wortlos von einer Person zur anderen. Dann holte er Luft. Anstelle einer freundlichen Begrüßung polterte er los: „Jetzt bist du sieben Jahre weggewesen ohne einen Ton von Dir zu geben, wo Du bist und was Du machst, ohne Dich um Deinen Sohn zu kümmern und jetzt tauchst Du auf und tust so, als ob nichts gewesen wäre. Was soll denn das.“ Und nach kurzer Pause, in der es in der Luft zu knistern schien, fragte er: „Und wer ist diese Person da?“ Franz erklärte es ihm, was den Vater aber noch mehr auf die Palme brachte: „Du hast hier eine Frau mit einem Kind sitzen lassen, ohne Dich darum zu kümmern und jetzt kommst Du mit einer Afrikanerin an und tust so, als ob das alles Selbstverständlich wäre.“ Hermine versuchte Paul zu beruhigen und die Situation zu retten, indem sie auf den Kaffee und die Kekse verwies. „Ich brauche jetzt keinen Kaffee. Ich brauche einen Schnaps“ forderte Paul ein und wandte sich an Franz mit einem „Du kannst auch einen haben!“. Er hoffte, damit die allseitige Anspannung zu beseitigen. Fayha saß verschüchtert in der Ecke. Sie hatte ja von all dem, was gesprochen worden war, nichts verstanden. Nach langer peinlicher Stille kam Franz ganz ruhig wirkend wieder zur Sache und wiederholte seinen Wunsch nach einem kleinen Haus.

Paul ging spontan und plötzlich seltsam sachlich darauf ein: „Unsere Schreinerei hat ein kleines, teilmöbliertes Haus mit drei Zimmern am Blumenstrich etwas ausgebaut. Das soll ab dem nächsten Monat vermietet werden. Es gehört einem Herrn Prof. Dr. Michel, der jetzt im Bannholzweg gebaut hat. Es ist das derzeit letzte Haus dort.“
Nun kehrte ein langes Schweigen ein. Niemand traute sich mehr etwas zu sagen. Zu groß war Pauls Wut, die noch in ihm kochte. Schließlich forderte er seinen Sohn auf: „Dann geh gleich mal dorthin, der Michel arbeitet fast immer zuhause. Wir haben hier im Haus keinen Platz für ein weiteres Paar.“ Franz kippte seinen Schnaps hinunter, trank seine Tasse Kaffee aus und forderte Fayha auf, mit ihm mitzukommen.
  
Als sie das Haus verlassen wollten, stand fast die ganze Kinderschar des Dorfes  vor dem Reidel‘schen Haus. Es hatte sich rumgesprochen, dass ein Mann mit einer fremdländischen Frau hier angekommen sei.  Wie Franz ins Auto einsteigen wollte kam ein kleiner Junge auf ihn zu und fragte: „Bist du etwa der Franz Reidel, mein Vater?“ Franz hielt inne und bekam einen roten Kopf. Er wusste nicht was er sagen  sollte. Dann gab er ein kurzes „ja, mag sein“ von sich und verschwand mit Fayha im Wagen.

Mit Herrn Prof. Michel war sich Franz im Nu einig. Franz blätterte ihm auch gleich einen größeren Betrag für die erste Monatsmiete und die Kaution auf den Tisch und verschwand mit dem Hausschlüssel. Dann fuhr er aber nicht auf die Feste sondern sofort zu dem Haus am Blumenstrich, um zu schauen, was er noch alles für den Hausstand brauchte. Er wollte nichts von seinen Eltern haben. Er wollte ihnen zeigen, dass er nicht auf sie angewiesen ist.
 
Fayha ließ er in dem kleinen Häuschen zurück und fuhr auf den Berg, um den Eltern zu sagen, dass sie sich nicht weiter um ihn und seine Frau zu kümmern bräuchten. Er nahm nicht einmal das Angebot von frischer Bettwäsche an, das ihm die Mutter gemacht hatte. Schließlich war er gewohnt, mit noch viel schwierigeren Lebenssituationen zurecht zu kommen.
 
So verging eine Woche, ohne dass jemand Franz und Fayha wieder gesehen hätte.  In Christa stieg auch immer mehr Wut auf, weniger weil Franz nicht nach ihr fragte sondern dass er seinen Sohn einfach ignorierte.  Ben hatte zunächst viele Fragen nach seinem Vater gestellt. Als er aber merkte, dass seiner Mutter die Fragen immer mehr lästig wurden, weil sie die meisten nicht beantworten konnte, gab er schließlich auf. Schlimm war für ihn, dass er von manchen Mitschülern nunmehr gehänselt wurde, indem sie ihn immer fragten, ob der Franz  Reidel wirklich sein Vater sie und was der denn so treibe.

Nachdem einige Wochen ins Land gezogen waren, in denen Franz nur im Vorbeifahren mit dem Auto erkannt, seine Frau aber überhaupt nicht zu sehen war, wuchs für Christa die Spannung so stark, dass sie sich an einem Samstagabend Ben schnappte und mit ihm zum Blumenstrich fuhr. Als sie vor dem kleinen Häuschen stand, in dem Franz und Fayha wohnten, zitterten ihr die Knie. Sei klingelte aber trotzdem beherzt. Schließlich musste es irgendeine Klärung der verrückten Situation geben.

Franz öffnete die Türe und erschrak beim Anblick von Christa, die sich offensichtlich in den letzten sieben Jahren ziemlich verändert hatte: Vor ihm stand eine fein und chic gekleidete junge Frau, die eigentlich nichts mehr von dem unschuldigen Dorfmädchen von einst an sich hatte. Christa hielt auch einen Augenblick inne, als sie den doch sichtlich gealterten Franz vor sich sah, der gar nichts Entspanntes oder gar Fröhliches mehr an sich hatte. Franz reagierte schroff: „Was willst Du?“ und nach einer peinlichen Pause fügte er hinzu: „Ich will hier und heute nicht über die Dinge reden, die wir sicherlich noch miteinander zu besprechen haben. Also….“ Da fiel ihm Fayha, die inzwischen auch an die Haustüre gekommen war, ins Wort: „Non, non, non… Entrez, s’il vous plait“. Christa verstand zwar kein Französisch, verbunden mit der entsprechenden Geste verstand sie aber die Aufforderung von Fayha, einzutreten. Nach einem Augenblick des Innehaltens räumte Franz seinen Platz in der Haustüre und ließ die beiden eintreten.

Nach einem Augenblick des Innehaltens räumte Franz seinen Platz in der Haustüre und ließ die beiden eintreten. Ben war einerseits eingeschüchtert, andererseits aber auch sehr neugierig auf diese Haus und dieses doch fremd wirkende Paar mit der wunderschönen Frau.
 
Fast lautlos nahmen alle an dem großen Tisch Platz, der in der Mitte des  Wohnzimmers stand. Fayha ging in die Küche und kam mit Rotwein, Wasser und Gläsern wieder.  Das Gespräch ruhte, bis Fayha mit einem „Santé“ die peinliche Stille durchbrach. Alle nahmen einen großen Schluck von ihrem Getränk. Ben lächelte zunächst Franz und dann Fahya an. Beide konnten nicht anders als zurückzulächeln und so fiel die erste Stufe der Anspannung.
 
Dann erzählte Christa, wie es ihr und Ben in den letzten sieben Jahren ergangen ist. Franz sagte keinen Ton dazu. Er übersetzte lediglich ab und zu einige Sätze auf Französisch. Nachdem Christa ihren Bericht beendet hatte,  musste sie lange warten, bis Franz das Wort ergriff. Er schilderte in kurzen Sätzen, dass er Schlimmes erlebt habe, und wie er das alles nur mit Hilfe der Zuwendung von Fahya habe aushalten können. Er schloss mit  Worten: „Nachdem, was ich erlebt habe, weiß ich, dass ich heute alles ganz anders machen würde. Aber so war es nun einmal.“ Zu einer irgend gearteten Entschuldigung konnte er sich nicht entschließen.
 
Das anschließende Gespräch, während dem viel Rotwein geflossen war, drehte sich allmählich nur noch um Belanglosigkeiten. Sowohl Christa als auch Franz scheuten eine wirkliche Auseinandersetzung. Fayha hat mittlerweile versucht, sich mit Ben zu beschäftigen, der neugierig darauf war, einige französische Wörter zu lernen.
 
Kurz vor Mitternacht klingelte es Sturm an der Haustür. Christas Eltern standen davor und wollten besorgt wissen, ob denn um Mitternacht nicht nun schon vieles gesagt und alles in Ordnung sei. Man nahm Abschied, ohne etwas Konkretes vereinbart zu haben. Zum Abschluss viel Fayha Christa um den Hals und drückte sie ganz fest. Christa fühlte sich fast überrumpelt, wehrte sich aber in keiner Weise dagegen.
 
In den nächsten Monaten spielte sich eine Beziehung zwischen Christa und Benjamin auf der einen Seite und Franz und Fahya auf der anderen Seite ein: Ben hatte immer intensiveren Kontakt zu Franz, der erstaunlich gern mit ihm handwerkliche Dinge erledigte oder aber an dem schon etwas alten Panhard schraubte. Christa hatte für Fayha einen Deutschkurs organisiert:  Sie ging mindestens drei Mal in der Woche zu einer pensionierten Französischlehrerin, der sie als Gegenleistung den Haushalt erledigte. Da Fahya offensichtlich sprachbegabt war, lernte sie in kurzer Zeit relativ gut Deutsch, was die Beziehung zwischen ihr und Christa erleichterte. Die zwei Frauen verstanden sich immer besser, was Franz eher misstrauisch machte.  Er war am Wochenende ab und zu mit Ben unterwegs zu Fußballspielen, Autorennen und sogar zu Grillfesten der ehemaligen Legionäre. All das interessierte die beiden Frauen nicht. Sie widmeten sich lieber ausgefallenen Kleiderkreationen, die eine Mischung aus elegantem westeuropäischen Stil mit nordafrikanischer Farbenvielfalt war.
 
Im Laufe der Zeit stürzte sich Franz immer mehr seine Geschäfte. Doch immer noch niemand wusste, was das für Geschäfte waren. Einmal hatte Franz Ben sein Büro im siebten Geschoss des Menglerbaus in Heidelberg gezeigt, das bürotechnisch bestens ausgestattet war mit mehreren Telefonen und einem Fernschreiber, ja sogar einem ganz modernen Kopierer.  Womit er aber aus dem Büro heraus handelte, das war nicht einmal Fahya bekannt. Sie wusste nur, dass er wohl alte Beziehungen aus der Legion pflegte.
 
Franz schien rasch reich zu werden: Nach weniger als einem Jahr fuhr er schon einen Jaguar. Bald darauf kaufte er das von ihnen bewohnte Haus und ließ es sehr großzügig ausbauen. Manch Handwerker plauderte aus, was für teure Materialien er zu verbauen hatte.

Als auch schließlich der Anbau fertig war, von dem sich die Nachbarn fragten, was der sollte, zog zum großen Erstaunen aller Dorfbewohner Christa mit ihrem inzwischen zehnjährigen Sohn dort ein, Das war für die Großeltern Müller ein hartes Los, hatten sie damit weitgehend die Obhut über ihren geliebten Enkel verloren.
 
Franz war wochenlang auf Geschäftsreisen. Wo er sich jeweils aufhielt und was er im Ausland unternahm, erzählte er niemandem, auch nicht Fahya oder Christa. Auf Nachfrage erklärte er nur, dass es besser sei, wenn seine Geschäfte und vor allem seine Geschäftspartner nicht allgemein bekannt seien. Fayha versuchte er lediglich damit zu trösten, dass sie ja nunmehr immer mehr Geld zur Verfügung hätten, so dass sie nicht arbeiten gehen müsse und sich fast alles leisten könne.
 
Christa beunruhigte die Situation. Sie zeigte sich auch gegenüber Ben besorgt, der aber eher Stolz auf seinen Vater war, mit dem er allerdings wegen seiner vielen Auslandsreisen kaum mehr etwas unternehmen konnte. Aber dafür bekam er ein sehr großzügiges Taschengeld, so dass er im Gymnasium, das er mittlerweile besuchte, zu den offensichtlich wohlhabendsten Schülern zählte.

In Dilsberg wurde vor allem an den Stammtischen ständig darüber diskutiert, woher wohl der Reichtum von diesem Franz Reidel käme und was der wohl mit zwei Frauen in seinem Haus mache. Denn keiner wollte glauben, dass Christa ausschließlich in dem Anbau nächtigte. Und ohnehin gehörte der Franz schon lange nicht mehr richtig zum Dorf. Seit er aus Afrika zurückgekommen war, hat er sich nicht einmal in einer Gaststätte sehen lassen. Höchstens auf Dorffesten war er ab und an mit seinem Sohn und den beiden immer etwas extravagant gekleideten Frauen anzutreffen.

Aber der offensichtliche Reichtum – Franz hatte z.B. inzwischen ein großes Schwimmbecken in seinen Garten einbauen lassen – fand aber doch auch Bewunderung in der Bevölkerung.  Einer von ihnen hatte in kurzer Zeit offensichtlich so viel Geld verdient, dass er nicht nur ein großzügiges Anwesen sein eigene nennen konnte, sondern mit seinen Frauen und seinem Sohn großzügige, wenn auch immer kurze Urlaubsreisen in aller Herren Länder unternehmen konnte.

Ja, er hatte sogar einen Großteil der Orgelrenovierung in der katholischen Kirche bezahlt, obwohl er höchstens zu Weihnachten einmal in der Kirche zu sehen war und obwohl ja niemand wusste, wie Franz Reidel das Geld verdiente, mit dem er diese großzügige Spende machte.
 
Nur einer unter den Stammtischbesuchern war immer skeptisch: Hugo Krischer, der bei einer Exportfirma arbeitete, hob immer hervor, dass es schon seltsam sei, dass Franz offensichtlich in vielen Ländern, aber noch nie in den USA gewesen sei. Das war aus einem Gespräch zwischen Ben und seinem Sohn hervorgegangen. Er vermutete, dass die Amerikaner ihn nicht einreisen ließen.
 
„Und wenn er für die USA kein Visum bekommt, dann ist irgendetwas faul mit ihm. Dann hat der amerikanische Geheimdienst CIA sicherlich Kenntnisse über ihn, die nicht positiv sind,“ so Hugo mit voller Überzeugung. Aber die anderen in der Runde fanden das nicht so bedeutend. Für sie war das Bewundernswerte, dass es Franz „zu etwas gebracht hat“.
 
Im Juni 1973 gab es morgens um fünf Uhr einen großen Aufruhr auf dem Blumenstrich: Vor Franzens Anwesen waren ein Pkw, ein Streifenwagen und zwei Polizei-Mannschaftswagen vorgefahren. Einige Polizisten umstellten das Haus. Ein Kriminalbeamter klingelte Sturm an der Haustür. Nach einigen Augenblicken rief Franz von innen: „Wer ist da?“ Die prompte Antwort: „Polizei, öffnen sie die Tür!“ war für Franz eher beruhigend, hatte er doch Angst, dass Kriminelle sein Haus umstellt hatten, um ihn zu berauben oder zu attackieren. Er öffnete vorsichtig die Tür, vergaß dabei aber seinen Revolver, den er in der Hand hatte, vorher abzulegen. So stürzte sich ein Polizist aus der zweiten Reihe auf ihn und warf ihn auf den Boden, um ihm die Pistole zu entreißen. Als Franz ruhig erklärte, dass er die Pistole nur zu seiner Sicherheit habe und sich keiner polizeilichen Maßnahme entziehen wolle, konnte er wieder aufstehen.

Mittlerweile waren die beiden Frauen aus den unterschiedlichen Ecken das Hauses herbeigeeilt. Sie zitterten am ganzen Leib, weil sie nicht wussten, was hier und wie ihnen geschah. Ben beobachtete das Geschehen verängstigt von Weitem aus seinem Zimmer.
 
Er hörte den wohl leitenden Kriminalbeamten noch sagen: „Wir haben hier einen Haftbefehl der Staatsanwaltschaft Heidelberg. Ziehen sie sich etwas an und kommen Sie bitte mit“. Franz sagte keinen Ton. Fayha weinte los.  Christa rief erregt:
“Was ist hier eigentlich los? Was wirft man Herrn Reidel vor? Sie können ihn doch nicht einfach so mitnehmen!“ Der Kriminaler erklärte ihr, dass dies nur ihren Mann anginge. Der könne ihr mitteilen, was in dem gerade ausgehändigten Haftbefehl stehe. Franz ließ, als er abgeführt wurde, gegenüber den Frauen fallen: „Das muss ein Missverständnis sein. Ich erkläre Euch später alles.“ Und zu Fayha gewandt stieß er nur ein „les cochons marocaines“ (die marokkanischen Schweine) aus und verließ in Begleitung zweier Beamter das Haus. Zum Glück hatten die Beamten auf das Anlegen von Handschellen verzichtet. So war sein Abgang wenigstens nicht so spektakulär, wie es wohl manche inzwischen auf der Straße erschienen Nachbarn erhofft hatten.
 
Gerade als die Frauen und Ben Luft holen wollten, betrat ein Truppe von vier Männern und einer Frau das Haus, die offensichtlich die ganze Zeit im Garten gewartet hatten,. Die Frau fragte kurz: „Wer ist die Ehefrau?“ und hielt dann, als Christa die Frage beantwortet hatte, Fahya ein Blatt Papier hin mit der Überschrift „Hausdurchsuchungsbefehl“. „Halten Sie sich bitte alle nur in einem Raum auf. Wir werden nun das Haus auf entsprechende Geschäftsunterlagen durchsuchen. Das wird einige Zeit in Anspruch nehmen. Sie können selbstverständlich auch das Haus verlassen.“
 
Alle drei Bewohner trafen sich in der Küche, wo Fahya immer noch weinend Kaffee aufsetzte. Ben wollte eigentlich nicht zur Schule gehen, um zu beobachten, was ich hier abspielte. Aber Christa ließ dies nicht zu: „Wir müssen so unauffällig wie möglich das Ganze über uns ergehen lassen und uns schnellstmöglich danach erkundigen, welchen Rechtsanwalt wohl Franz beauftragt hat. So wie ich ihn kenne, wird er sicherlich den Meyer beauftragen, der der beste Strafverteidiger in Heidelberg sein soll.“ Nach drei Stunden zogen die Kriminalbeamten wieder ab. Sie nahmen einige Aktenordner und sonstige Unterlagen aus Franzens Arbeitszimmer mit.
 
Franz saß in Untersuchungshaft im „Faulen Pelz“ in Heidelberg. Christa hatte sofort Kontakt zu Rechtsanwalt Meyer aufgenommen, der in einem Gespräch, das er mit beiden Frauen schon am nächsten Tag nach der Verhaftung führte, diese aufklärte: „Es liegt eine erste Anklage wegen illegalen Waffelhandels mit dem afrikanischen Ausland vor. So wie ich die Sachlage aber im Moment einschätze, ist ihrem Mann und Freund nichts Illegales nachzuweisen. Die Festnahme wurde offensichtlich von Konkurrenten des Herrn Reidel initiiert, um ihn auszuschalten. Im Übrigen kann ich Ihnen mitteilen, dass sie sich keine wirtschaftlichen Sorgen zu machen brauchen. Es ist genügend Geld vorhanden, auch solches, auf das die Staatsanwaltschaft bzw. das Gericht keinen Zugriff hat.“
 
Nach sechs Wochen wurde Franz aus der Untersuchungshaft entlassen. Er nahm sofort seine Handelstätigkeit wieder auf, nachdem er alle Geräte und Akten wieder zurückbekommen hatte und sein Büro im Menglerbau nicht mehr versiegelt war.

Im März des darauffolgenden Jahres begann ein Prozess vor dem Landgericht Heidelberg. Die Anklage lautete: Illegaler Handel mit gebrauchten Waffen der französischen Armee. Der Prozess zog viel Presse an. So versuchten Pressevertreter der Bild-Zeitung und vor allem des Privatfernsehens unbedingt Einblick in das Privatleben des Franz Reidel zu gelangen, zumal die Tatsache, dass er mit zwei Frauen zusammenlebte, für diese natürlich besonders pikant war. Aus diesem Grunde hatte der Rechtsanwalt einen privaten Sicherheitsdienst organisiert, der die Paparazzi fernhalten und Ben auf dem Wege zur und von der Schule begleiten sollte. 

Nach vier Wochen war der Spuk zu Ende: Franz konnte keiner illegalen Aktionen überführt werden. Er hatte wohl alles so geschickt organisiert, dass ihm keine Verstöße gegen deutsche Rechtsvorschriften nachzuweisen waren. Dennoch war und blieb er sehr nervös. Er betonte zwar gegenüber Christa und Fahya, dass nun alles wieder in Ordnung sei und sie sich keine Sorgen zu machen bräuchten. Er ging auch weiter seinen Geschäften nach, hatte sich aber neben seiner Sekretärin im Büro einen „Adjutanten“ angestellt, der ihn stets begleitete.

Und um sein Angehörigen zu beruhigen unternahm er mit ihnen Anfang September eine einwöchige Reise zu einem etwas abgelegenen marokkanisches Luxushotel, zu dem sie vom Flughafen Agadir aus direkt mit einem Hubschrauber gebracht wurden.

Dort traf Franz auch einige afrikanische Geschäftsfreunde, die er z.T. auch seiner Familie vorstellte. Fahya versuchte mit dem einen oder anderen von ihnen ins Gespräch zu kommen. Erst auf dem Heimflug gestand sie Christa, dass sie froh sei, wieder nach Deutschland zu kommen. Die Geschäftspartner seien ihr sehr suspekt gewesen.
 
Drei Wochen nach ihrer Rückkehr lag morgens auf dem Frühstückstisch ein Zettel mit drei von Franz handschriftlich verfassten Sätzen: „Bin vermutlich für längere Zeit auf Geschäftsreise in Afrika. Bankvollmachten liegen bei Rechtsanwalt Meyer. Macht Euch keine Sorgen.“
 
Von diesem Augenblick an, war Franz nie mehr in Deutschland zu sehen. Er rief alle paar Monate an, um sich nach seinen Angehörigen zu erkundigen. Wie es ihm ging und wo er sich aufhielt, dazu sagte er nichts.  Er betonte nur, dass es noch länger dauern könne, bis er wieder nach Hause käme. Üppige Zahlungen kamen regelmäßig auf das von Rechtsanwalt Meyer verwaltete Bankkonto. 
 
Dieser Zustand hielt über mehrere Jahre an, während derer die Abstände, in denen sich Franz meldete, immer länger wurden. Schließlich meldete er sich gar nicht mehr.
 
Eines Tages war auf der Frontseite der Rhein-Neckar-Zeitung eine lapidare Meldung zu lesen: „Deutscher Waffenhändler vor seinem Hotel in Mogadischu erschossen.“ Erst als Rechtsanwalt Meyer am nächsten Tag am Blumenstrich vorfuhr, wurde den dreien klar, wer wohl der Waffenhändler war. Auch wenn sie schon lange nichts mehr von ihm gehört und sich mit ihrer Situation gut arrangiert hatten, so hatten sie dennoch gehofft, eines Tages wieder mit ihm zusammenleben zu können.
 
Tiefe Trauer umgab sie. Erst recht als sie von Rechtsanwalt Meyer erfuhren, dass Franzens Leiche bereits in Mogadischu bestattet worden sei. Ben hatte nun zum zweiten Mal in seinem Leben seinen Vater verloren, eigentlich zum dritten Mal, denn sein Großvater Müller, der in jungen Jahren auch eine Vaterrolle übernommen hatte war inzwischen ebenfalls verstorben, zwei Monate nach dem Tod seiner Frau.

Diese vielen Verluste ließen Ben immer verschlossener werden. Durch die Tatsache dass er seinen Wege nun alleine ohne weitere männliche Unterstützung weitergehen musste, wurde er immer mehr in sich gekehrt, immer vernünftiger aber auch selbstbewusster.

Finanziell schien es den nunmehr „die Drei vom Blumenstrich“ benannten weiterhin gut zu gehen. Hatte sie doch Meyer damit zu beruhigen versucht, dass das in Deutschland vorhandene Vermögen den beiden Frauen einen sorglosen Lebensabend garantiere.

Diese Aussage war aber offensichtlich falsch. Das merkten Fahya und Christa daran, dass sie allenthalben gerichtliche Einschreiben und mehrere Besuche vom Gerichtsvollzieher erhielten, aus denen hervorging, dass Franzens Vermögen eingezogen werde, also auch der ganze Grundbesitz am Blumenstrich.

Nur eine Anlage hatte Franz wohl sicher und nicht angreifbar getätigt: Eine üppige Ausbildungsversicherung für Benjamin, der damit sein Ingenieursstudium an den Universitäten in Aachen, Mailand und München finanzieren konnte.
 
Die beiden Frauen, die sich inzwischen wie ein altes Ehepaar verhielten, zogen in das kleine leerstehende Häuschen in der Unteren Straße. Dort blieben sie bis an ihr Lebensende und verliehen der Feste eine gewisse exotische Note, nicht zuletzt durch ihre bis zum Schluss außergewöhnliche Kleidung. Aber sie gehörten zum Dilsberg. Keiner der Bewohner der Feste wollte sie mehr missen.

Benjamin, der nach seinem Studienabschluss in leitender Stellung bei Bosch in Stuttgart tätig war, schaute oft nach seinen „beiden Müttern“ und unternahm mit diesen und einer inzwischen vierköpfigen Familie jedes Jahr einen Badeurlaub in Marokko, wo seine beiden Töchter am Strand immer voll Stolz damit prahlten, dass sie insgesamt drei Großmütter hätten.

Kurzgeschichte von Ferdinand Hefemer August 2016
Bilder: bz

Geschichte zum downloaden in PDF