Frühjahrsstipendiatin Chika Inaoka: Klassik trifft zeitgenössische Fantasie

04.04.2025

Fantasie prägte den Abend: Beim Abschlusskonzert von Chika Inaoka im Kommandantenhaus Dilsberg verschmolzen Klassik und Klangexperiment zu einer nachhallenden Entdeckungsreise.

Landrat Stefan Dallinger begrüßte im Namen der Kulturstiftung Rhein-Neckar die Gäste, die den historischen Saal bis auf den letzten Platz füllten. Er kündigte ein spannendes Programm mit einer Welturaufführung an – und genau das bot der Freitagabend. Chika Inaoka, Pianistin aus Kobe in Japan und Frühjahrsstipendiatin 2025, präsentierte ein vielschichtiges Konzertprogramm, das klassische Meisterwerke mit zeitgenössischer Musik verband – durchzogen vom Leitmotiv der Fantasie.

Das Konzert begann mit Mozarts kraftvoller „Fantasie in d-Moll“ – einem Werk, das ebenso berühmt wie rätselhaft ist, denn es blieb unvollendet. Der oft gespielte Schluss stammt nicht von Mozart selbst, sondern von einem späteren Bearbeiter, August Eberhard Müller. Chika Inaoka entwickelte während ihres Dilsberg-Aufenthalts eine andere Idee, die sie komponierte und nun dem Publikum vorstellte. Sie interpretierte mit Klarheit, Ausdruck und technischer Raffinesse, die ihre musikalische Handschrift prägen. Bereits in den ersten Takten spürte man: Diese Künstlerin hat etwas zu erzählen – ganz ohne Worte.

Das Publikum schloss die Augen und folgte ihrem Weg, der sich mit Mozarts „Klaviersonate in F-Dur“ fortsetzte. „Allegro“, „Andante“ und „Rondo Allegretto“ boten tänzerische Leichtigkeit, Dramatik und eine Prise Melancholie. Die Zuhörer tauchten tief hinein in eine Klangwelt, in der Form und Freiheit faszinierend verschmolzen – ein Spiel der Fantasie.

Mit der Uraufführung von „Ramlossa auf dem Berg“ des japanischen Komponisten Sho Ueda wagte Chika Inaoka einen klanglichen Bruch – und einen Schritt in die Gegenwart. „Folgen Sie Ihrer Fantasie, entscheiden Sie, was diese Musik für Sie bedeutet“, ermutigte Inaoka. Das eigens für sie komponierte Werk verzichtet bewusst auf eingängige Melodien und klassische Harmonik. Stattdessen: murmelnde Passagen, schroffe Kontraste, dissonante Flächen und Phasen der Stille. Zu gerne hätte man in die Köpfe der Zuhörer geschaut, während „Allegro poco tempo rubato“ und „Rubato“ erklangen. Uedas Musik forderte – aber belohnte. Denn gegen Ende fügten sich die Klänge überraschend zusammen, fast versöhnlich. Was zuvor suchend klang, wirkte plötzlich zielgerichtet. Ein Experiment, das aufging – auch dank Inaokas kluger Interpretation.

In der Pause sorgte die Uraufführung für reichlich Gesprächsstoff und Meinungsaustausch. Das Team der Kulturstiftung versorgte mit Getränken und Häppchen.

Im zweiten Teil des Abends führte Schumanns „Kreisleriana“ aus dem Jahr 1838 in die Romantik. Die acht Fantasiestücke, inspiriert von E.T.A. Hoffmanns Kapellmeister Kreisler, spielte Inaoka mit Ausdruckstiefe und technischer Brillanz. Die Musik sprang zwischen zarter Poesie und leidenschaftlicher Unruhe, zwischen Träumerei und Abgrund. Ein seelisches Wechselbad – intensiv und berührend. Als Zugaben interpretierte die Pianistin Mozarts „Kleine Nachtmusik“, die wie eine Traumperlenkette durch den Saal schwebte, und Schumanns „Kinderszenen“. Ein verspielter, fast augenzwinkernder Abschluss.

Durch das Programm führte die Pianistin auf Deutsch, denn das hatte sie am Musikgymnasium Tokio gelernt. Dabei spürte man, wie sehr sie sich mit jedem Werk verbunden fühlt. Ihre Offenheit, auch in der Auswahl der Stücke, spiegelt ihren künstlerischen Weg wider: von ihrer Kindheit in Kobe über das Studium in Tokio und Mannheim bis zur Professur an der Musikhochschule Showa in Kanagawa.

Seit Januar lebt Inaoka als Stipendiatin der Kulturstiftung Rhein-Neckar auf dem Dilsberg, ihr Konzert war Höhepunkt und Abschluss zugleich. Die Stiftung vergibt seit 1997 jährlich bis zu vier Stipendien an Künstlerinnen und Künstler. Inaoka nutzte die drei Monate, um sich intensiv mit Mozart, Schumann und Neuer Musik auseinanderzusetzen. „Wow, Bravo!“, rief das begeisterte Publikum und dankte mit stürmischem Applaus und Blumengeschenken. So wurde Dilsberg zum Schauplatz eines virtuosen Klavierabends, der lange nachwirkt – wie eine jener Fantasien, die im Kopf weiterspielen, selbst wenn der letzte Ton längst verklungen ist.

T.+B. mbue