IV
Vereine schweißen zusammen Die Akzeptanz der Zugezogenen kam in Dilsberg nur langsam voran. Eine wichtige Funktion für die Integration nahmen die Vereine ein. Dabei sind hier zwei besonders hervorzuheben: Der „1. Fußballclub Dilsberg 1949 e.V.“ (FC Dilsberg), der 1949 als Abspaltung vom „Turnerbund Dilsberg 1909 e.V.“ gegründet worden war, und der „Musikverein Trachtenkapelle 1923 Dilsberg e.V.“
Mit 14 Jahren wurde Kurt in die Jugendmannschaft des FC aufgenommen, für die er fast jeden Sonntagmorgen als flinker Stürmer unterwegs war. Dort fragte kaum einer nach der Herkunft. Es ging um die Leistung, die der einzelne einbrachte.
Das galt auch für den Musikverein, in den Kurt mit 16 Jahren als aktives Mitglied eintrat und dort über Jahrzehnte das Flügelhorn spielte. In diesem Verein war übrigens 1964 zum ersten Mal ein Vertriebener Vereinsvorsitzender: Michael Roth.
Mit fünfzehn Jahren, also 1950 verließ Kurt die Hauptschule. Da ihm die Berufsberatung des Arbeitsamtes den Beruf des Schlossers empfohlen hatte, trat er eine Lehre in einer Schlosserei in der Heidelberger Altstadt an. Zum Betrieb gehörten neben einem Meister und einem Ingenieur als Chefs, drei Gesellen und zwei Lehrlinge.
Diese Lehre war ein hartes Brot: Der Betrieb produzierte hauptsächlich Treppengeländer, ganz viele davon für die Siedlungen der US-Armee. Dazu mussten die Eisenteile, die Schweißgeräte, die Gasflaschen und sonstiges z.T. über fünf Stockwerke hochgeschleppt werden. Das Lehrlingsgehalt betrug im ersten Lehrjahr 5 DM. Das reichte für Kurt gerade, um die Straßenbahnkarte von Neckargemünd nach Heidelberg zu bezahlen.
An Freizeit unter der Woche war da kaum zu denken: Kurt musste um fünf Uhr am Morgen aufstehen, um dann um halb sechs Uhr zu Fuß nach Neckargemünd zu gehen. Von dort aus fuhr er mit der damals noch bestehenden Straßenbahn in die Heidelberger Altstadt. Um sieben Uhr war Arbeitsbeginn. Zum Glück musste er den Weg nicht allein gehen, denn es gab noch einige Lehrlinge seines Alters, die denselben Weg hatten.
Wenn er nach Betriebsschluss um 17 Uhr den Rückweg antrat, konnte er froh sein, wenn er kurz vor sieben Uhr sein Dilsberger Zuhause erreichte. Da blieb dann nach dem Abendessen, das die Mutter zubereitet hatte, kaum Zeit für Freizeitaktivitäten. Aber dennoch war das Fußballtraining eine willkommene Abwechslung vom harten Arbeitsalltag und der familiären Enge.
Vom Samstag hatte Kurt auch nicht viel: Von sieben bis zwölf Uhr war Arbeit im Betrieb angesagt und anschließend mussten die Lehrlinge noch die Werkstatt aufräumen und sauber machen. Bis er dann nach Hause kam, war es auch schon Abend.
Am Sonntag sollte man eigentlich zur Kirche gehen. So war es der Brauch im überwiegend katholischen Dilsberg. Da aber die Spielrunde der Jugend am Sonntagmorgen stattfand, musste eben Fußball gespielt werden. Als Kurt mit 18 Jahren in die erste Mannschaft des FC Dilsberg übernommen wurde, war dann der Sonntagnachmittag voll ausgebucht. Wenigstens konnte er dann am Sonntagmorgen etwas ausschlafen.
Und was konnte Kurt in seinem Erholungsurlaub unternehmen? Bis 1964 gab es lediglich zwischen zwei und drei Wochen Erholungsurlaub. Die wurden dazu verwendet, um für die Kerwe das Zelt auf- und abzubauen und vielleicht noch an einem kurzen Vereinsausflug teilzunehmen. Nach drei Jahren Lehrzeit erhielt Kurt seinen Gesellenbrief. In seinem Ausbildungsbetrieb wollte er nicht bleiben, da die Arbeit zu hart und der in Aussicht gestellte Stundenlohn auch nicht gerade attraktiv war. Zudem war er ja frei und ledig. Also ließ er sich von einem früheren Dilsberger überreden, in die Schweiz zu gehen, wo man schon damals erheblich höhere Stundenlöhne bezahlte.
Die bürokratischen Hürden der Schweiz zerstörten aber Kurts Traum, sodass er gezwungen war, sich kurzfristig Arbeit in der Nähe zu suchen. Er schlug die Zeitung auf und fand eine Annonce eines mittelständischen, metallverarbeitenden Unternehmens in Heidelberg, das hauptsächlich Metall-Kleinteile für die Heidelberger Druckmaschinen herstellte. Kurt fuhr dorthin, schloss spontan einen Arbeitsvertrag ab und nahm sofort die Arbeit auf. Diese bestand zumeist in Schweiß-, Fein- und Richtarbeiten, die im Stückakkord zu erledigen waren.Formularbeginn
Damals konnte er sich allerdings nicht vorstellen, dass er bis zum Ende seines Arbeitslebens dort verbleiben sollte, geschätzt als fachlich und persönlich integre Person, die praktisch auch zum Urgestein dieses Unternehmens geworden war.
Der Weg zu Arbeit war nach wie vor beschwerlich und langwierig. An ein motorisiertes Fahrzeug war nicht zu denken. Erst Ende der fünfziger Jahre hatte Kurt die Möglichkeit, mit seinem späteren Schwager, der in derselben Firma arbeitete wie er, mit dem Pkw mitzufahren. Ab da blieb dann mehr Zeit, um sich in Fußballverein und Musikverein zu engagieren, Freunden zu treffen und nach einer Partnerin Ausschau zu halten.
von Walter Berroth
Fortsetzung folgt…