Ein Ur-Dilsberger, geboren in Mähren – Teil III

III

Der Vater stößt zur Familie

Trotz aller zwischendurch wieder aufkommenden Feindschaften zwischen den einheimischen und den sogenannten Flüchtlingskindern spielte man doch auch zunehmend gemeinsam. Gab es einen idealeren Ort als die Feste, um z.B. „Fangerles“ zu spielen?

Eines Tages – es war im Sommer 1948 – saßen die Schuljungen nach einer Hetzjagd durch das Dorf wieder einmal auf der Bank am Dorfplatz, um auszuschnaufen.  Kurt schaute die Obere Straße hinab, Richtung Tor. Da bog von der Feste her eine in eine zerschlissene Uniform gehüllte Gestalt um die Ecke. Kurt musste zweimal hinschauen, bis ihm klar wurde, dass dies sein Vater war, von dem die Familie seit mehr als vier Jahren nichts gehört und daher angenommen hatte, dass er gar nicht mehr am Leben war.

Der Vater hatte über das Rote Kreuz die Adresse seiner Familie erfahren und war nun nach einer langen Reise vom Bahnhof in Neckarsteinach zum Dilsberg aufgestiegen. Das Rote Kreuz selbst hatte es aber offensichtlich versäumt, die Familie darüber zu informieren, dass der Vater aus der Kriegsgefangenschaft entlassen worden war.

Kurt war so erschrocken, dass er nicht auf seinen Vater zuging, sondern so schnell er konnte nach Hause rannte, um die unglaubliche Kunde von der Ankunft des Vaters mitzuteilen. Die Mutter glaubte zunächst, das sei wieder einmal einer der törichten Scherze, die ihre Jungen machten. Doch nach einigen Augenblicken trat der Vater und Ehemann tatsächlich durch die Tür des Raumes, in dem die Familie wohnte. Alle erstarrten zunächst, bis sie wieder Worte fanden, um die große Freude über den wider Erwarten erschienen Vater auszudrücken. Die kleine Schwester, die im Gegensatz zu den Jungen den Vater nicht wiedererkennen konnte, versteckte sich ängstlich hinter der Mutter. Für sie war diese Ankunft keine Freude, mischte sich doch ein für sie fremder Mann unter ihre auf engstem Raum lebende Familie.

Es war für alle Familienmitglieder schwierig, sich an die neue Situation zu gewöhnen, Gab es doch außer der Mutter, mit der die Kinder umzugehen gelernt hatten, einen Vater, der eigene Vorstellungen hatte, wie sich das Familienleben gestalten sollte – und das noch zu fünft in einem großen Schlaf-Wohn-Ess-Küchenraum.

In dieser Behausung musste die Familie H noch ein Jahr ausharren. Dann beanspruchte der Hausbesitzer den Wohnraum, da er zu heiraten beabsichtigte. Zum Glück hatte ein anderer Vertriebener, der Maurer W in Eigenarbeit ein Zweifamilienhaus unterhalb der Steige erstellt, in dessen Dachgeschosswohnung die Familie H einziehen konnte. Sie bestand aus einem Schlafzimmer, in dem alle Familienmitglieder schliefen, einem Wohnzimmer und einer Küche.

Dort wurde dann 1951, also mit zehn Jahren Abstand zur nächstälteren Schwester R geboren, die das Familienleben noch einmal durcheinanderwirbelte.

Da nach dem Krieg insgesamt noch viel Aufbauarbeit zu leisten war, gab es für den gelernten Spengler H kein Problem, Arbeit zu finden. Er fand sie zunächst bei einer kleinen Spenglerei in der Altstadt von Heidelberg.  Dazu musste er- wie viele andere Bewohner des Dilsbergs auch – zu Fuß nach Neckarsteinach gehen, um von dort mit der Bahn nach Heidelberg zu fahren. Da die Fahrt zum und vom Arbeitsplatz viel Zeit in Anspruch genommen hat und damals auch noch samstags gearbeitet wurde, war der Vater eigentlich nur am Sonntag richtig präsent für die Familie.

Die Arbeit im Heidelberger Familienbetrieb gab der Vater allerdings relativ bald zugunsten einer lukrativeren Tätigkeit bei der US-Armee auf, wo er bis zu seiner Berentung im Jahr 1972 verblieb.

Fortsetzung folgt…